Goldmedaille 23|24
Konzeptionell-Künstlerisch

Deponie

Für seine Arbeit Deponie hat sich Tobias Kruse in Ostdeutschland auf die Suche nach den Spuren und Narben einer Zeit begeben, die bis heute ihre Schatten auf die Gegenwart wirft: die Jahre nach der Wiedervereinigung. Eine Zeit, die reich an Möglichkeiten war, für viele aber auch Enttäuschung, Wut und Verbitterung brachte. 30 Jahre nach dem Mauerfall fuhr der Fotograf und gebürtige Mecklenburger 8.000 Kilometer durch den Osten Deutschlands. Er reiste durch leere Landstriche und Dörfer, in volle Fußballstadien und zu nächtlichen Demonstrationen. Er fotografierte Phänomene, die ebenso historisch wie gegenwärtig sein können, und besuchte Orte, die ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien hinterlassen ein düsteres, bedrückendes Unbehagen. Sie sind Chiffren der Trauer und Bildzeichen eines schmerzhaften historischen Prozesses. Der Fotograf Tobias Kruse wurde 1979 in Waren an der Müritz geboren und wuchs in Schwerin auf. Seit 2011 ist er Mitglied der Agentur Ostkreuz.

Bildautor*innen: Tobias Kruse

Textautor*innen: Tobias Kruse

Gestaltung: Florian Lamm

Herausgeber*innen: Spector Books

Verlag: Spector Books

ISBN: 9783959056724

Laudation von Lars Willumeit
Photo Elysée, Lausanne (CH)| Kurator

Das Fotobuch Deponie von Tobias Kruse fällt einem sofort auf als Juror. Es ist vieles zugleich: es ist brachial und elegant, es ist schwarz-weiß und doch differenziert - und schließlich es ist schlank, aber sehr gehaltvoll.
Nichts an diesem Buch, welches von Florian Lamm gestaltet und von Spector Books verlegt wurde, erscheint überflüssig.

Die Jury war vom ersten haptischen Kontakt an, vom Minimalismus und der Präzision der Herstellung und Ausstattung des Buchobjekts überzeugt. Sobald man das Buch aufschlägt, kommen die Hauptakteure ins Spiel, nämlich die sechzig Fotografien von Tobias Kruse, welche in einer packenden Sequenz und Anordnung, auf die nur 74 Seiten komponiert wurden.
Diese Reise in Bildern wird nach einem reinen Bildauftakt von vier Bildern vom einen einzigen doppelseitig und in fett bedrucktem Textzwischenblatt auf leuchtendstem Rot unterbrochen. Von Ahnung, Bitterfeld, Bitterkeit, Ehre, Ekel, Freiheit, Führer, Heimat, Hoyerswerda bis zu Zwickau und Zwiespalt: es ist ein A-Z von Begriffen und Ortsnamen, welche vom Bildautoren, während seiner inneren Reisen und den 8000 Kilometern langen Reisen durch Ostdeutschland, notiert wurden.

Die Sequenz beginnt mit Bildern der ehemaligen DDR-Mülldeponie Ihlenberg, welche als metaphorischer Auftakt die Stimmung setzen. Eine Deponie besteht aus Schichtungen von Materie und Zeit. In diesem Fall ist es ein Ort, an dem sich das individuelle Erleben und Erinnern eines Bildautors und gesellschaftliche Entwicklungen sowie deutsche Vergangenheiten und Gegenwarten durchdringen und kontaminieren.
Tobias Kruse gelingt es, die Betrachter*innen mit seiner feinaustarierten Bildsequenz auf einen intensiven visuellen Trip durch verschiedene Gemütszustände und Mentalitäten zu nehmen. Dieser ist geprägt von steter Ambivalenz - denn man erwischt sich selbst dabei, ständig zwischen Faszination und Anziehung in einen Moment zu bewegen und gleich danach wieder erschrocken und in einer Bewegung der Abstoßung mental zurückzuweichen.

Unsere Jury war sich einig, dass Tobias Kruse dieser Balanceakt zwischen subjektivem Erleben und dem Erfassen und Reflektieren von gegenwärtigen Realitäten auf sehr hohem Niveau gelungen ist. Deshalb hat die Jury des diesjährigen Deutschen Fotobuchpreises ihm die Goldmedaille in der Kategorie Bildband Künstlerische Fotografie verliehen.

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